Donnerstag, 1. Juni 2006

Urheberrecht (2)


Das beschäftigt mich derzeit am meisten: Daß ich nicht aus einem Buch zitieren darf, das ich gerade lese. Unter keinen Umständen, wie mir scheint. Außer wenn es in einer wissenschaftlichen Publikation stringent notwendig ist. Oder der Urheber länger als 70 Jahre tot ist. Was beispielsweise auf die Evangelisten zutrifft. Aber halt: Lebt der Übersetzer etwa noch?

Daß ich nicht jemand seinen Roman klauen (z.B. kopieren) und dann damit ungeniert Geld verdienen darf, versteht sich von selbst. Daß ich aber nicht schreiben darf: „Im Sommer läuft die Königin Tag und Nacht auf der Suche nach leeren Zellen über die Waben, in die sie dann den Kopf hineinsteckt und mit den Fühlern die Wände und den Boden betastet.”, weil das eine Urheberrechtsverletzung ist, das will ich nicht verstehen. (Quellenangabe gibt es keine, Kriminelle überlassen das den Fahndern.)

Also ich gehe in eine Buchhandlung und kaufe mir ein Buch. Ich darf es lesen. Habe ja bezahlt. Ich finde es vielleicht höchst interessant, oder revolutionär. Oder einfach nur lustig. Ich spüre, daß ich mit anderen Menschen darüber sprechen möchte, die Botschaft weitergeben möchte. Sobald ich jemandem daraus vorlese, muß ich schon fürchten, belangt zu werden. Kunst (oder fachliche Informationen) drängen doch danach, von den Rezipienten (Lesern) diskutiert zu werden. Aber nein, bezahlen, lesen, schweigen. Das ist seelenlos. Wo ist der Unterschied zur Prostitution? Bezahlen, mal kurz dürfen, und dann hau ab.

Das läßt mich jede meiner Regungen psychotisch beargwöhnen. Ob ich nur nicht in die Netze der Jäger gerate.

Ich hoffe sehr, daß die Sprache, die Farben, die Klänge und die Formen stets das Eigentum aller Menschen bleiben und niemals von jemand mit Stacheldraht eingeschnürt werden.

Meines Wissens kann man sich in den USA schon Lebewesen patentieren lassen. Also ich darf dann meinen Kater nicht mehr haben, weil ein Milliardär mal eben ein Patent darauf bekommen hat. Oder jemand läßt sich den tubias schützen, und ich muß Lizenz abdrücken, damit ich weiter atmen darf.

Ich bin deprimiert.

Konsequenz: Alles selber machen. Meine eigenen Texte (daß mir nur niemand zitiert, das werde ich unnachgiebig ahnden lassen; nein, das war sarkastisch), meine eigenen Bilder, meine eigenen Lieder. Nicht schön, aber mir gefallen sie. Ich schmor gern im eigenen Saft.

Eine ganze Welt aus Kunstschätzen ignorieren, weil sie in den Händen von Abkassierern ist. Das ist pervers. Ein solches Urheberrecht geht weit über den Schutz geistigen Eigentums hinaus. Es tötet den Meinungsaustausch. Und es hindert letztlich die Verbreitung und Ausstrahlung der Kunstwerke.

Gleiches gilt für Sachliteratur. Wenn ich ein Kochrezept nicht weitergeben darf, weil der Autor erst vor sechzig Jahren gestorben ist (und das Kochbuch seit 100 Jahren nicht mehr herausgegeben wurde). Da greift sich doch jeder an den Kopf.

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